Kommunikation und Wissen. Geheimdienste, Politik und Krisen im Kalten Krieg

Kommunikation und Wissen. Geheimdienste, Politik und Krisen im Kalten Krieg

Organisatoren
Daniela Münkel / Martin Stief / Ronny Heidenreich, Stasi-Unterlagen-Archiv, Bundesarchiv, Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
15.06.2023 - 16.06.2023
Von
Ronald Funke, Stasi-Unterlagen-Archiv (Bundesarchiv), Berlin

Der Blick auf die Arbeit der Geheimdienste ist von Heimlichkeiten und Unwissen geprägt, zugleich von Mythen und Projektionen. Während die Dienste im Verborgenen agieren, schwankt das öffentliche Bild vielfach zwischen popkulturellen Klischees, Misstrauen gegenüber mangelnder Kontrolle und unredlichen Methoden sowie von öffentlichen Pannen geprägten Zweifeln an der Handlungsfähigkeit. Eine Tagung des Forschungsbereichs des Stasi-Unterlagen-Archivs beim Bundesarchiv in Berlin nahm sich der Herausforderung an, Breschen für eine historische Untersuchung der Nachrichtendienste im Kalten Krieg zu schlagen und sich dafür sowohl mit der konkreten Arbeit der Dienste als auch mit Fragen der Überlieferung und Zugänglichkeit zu den Quellen einer solchen Forschung zu beschäftigen.

Im Mittelpunkt standen die Rolle der ost- und westdeutschen Geheimdienste als Informationsdienstleister und Berater politischer Entscheidungsträger sowie ihre damit verbundenen Ziele und Selbstbilder. Dabei zeichneten sich trotz zeitlicher Entwicklungen und Unterschieden zwischen den Diensten in Ost und West im Verlauf der Tagung eine Reihe wiederkehrender zentraler Themen und Gegensatzpaare ab. Dazu gehörten behauptete und projizierte Vorstellungen von Professionalität beziehungsweise Dilettantismus, die Aufgabe als Informationslieferant sowie der darüber hinausgehende Anspruch, auch selbständiger Akteur und Politikbeeinflusser zu sein, und schließlich als anhaltendes Problem der Wissenschaft die angesichts des Themas kaum überraschenden Schwierigkeiten des Archiv- und Quellenzugangs.

Wie der Präsident des Bundesarchivs MICHAEL HOLLMANN (Koblenz) in seinem Grußwort hervorhob, handelte es sich um die erste Tagung des Stasi-Unterlagen-Archivs seit der Zusammenführung mit dem Bundesarchiv. Im besten Sinne sei die Konferenz daher öffentlicher Ausdruck des erfolgreichen Zusammenwachsens der Institutionen sowie der nunmehr unter einem gemeinsamen Dach vorangetriebenen Überlieferung der in den einzelnen Archiven zu den Geheimdiensten und darüber hinaus vorhandenen Akten.

Auch ALEXANDRA TITZE (Berlin) griff als Vizepräsidentin des Bundesarchivs und Leiterin des Stasi-Unterlagen-Archivs die Vereinigung auf und betonte das Bekenntnis zum gesetzlichen Auftrag der fortgesetzten Erschließung und Erforschung der Akten. Zugleich wiesen beide auf den unmittelbar bevorstehenden 70. Jahrestag des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 und die besondere Verantwortung zur historischen Aufklärung über die dramatischen Ereignisse und Schicksale hin. Das Datum der Tagung war durchaus kein Zufall. Denn der Volksaufstand steht geradezu sinnbildlich für die Arbeit der Geheimdienste, etwa durch die Informationssammlung zur sich im Vorfeld zuspitzenden gesellschaftlichen Lage, die Berichterstattung und Krisenkommunikation in den von Unübersichtlichkeit und widersprüchlichen Nachrichten geprägten Aufstandstagen, die analytische Nachbearbeitung der Ereignisse sowie den Vorwurf, selbst vom Geschehen überrascht worden zu sein. Die Tagung erweiterte aber bewusst den Blick über das Einzelereignis des 17. Juni 1953 hinaus, um die grundsätzliche Arbeit der Nachrichtendienste als Informationsgeber, damit verbundene Kontinuitäten und Wandlungen der Geheimdiensttätigkeit sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Ost und West untersuchen zu können.

Dass die Dramatik geheimdienstlicher Krisenkommunikation und Information der Politik durchaus nicht der Vergangenheit angehört, betonte DANIELA MÜNKEL (Berlin) in ihrer Eröffnungsrede. So wies sie auf die besondere Rolle der Nachrichtendienste im Vorfeld des russischen Überfalls auf die Ukraine hin. Zwar sei die aktuelle geheimdienstliche Arbeit kaum durchschaubar, doch sei es möglich, einen historischen Einblick in die Rolle und Alltagsarbeit sowie den Umgang mit Krisen zu gewinnen, wobei neben dem 17. Juni 1953 etwa auch die Berlin-Blockade, der Mauerbau oder die Kubakrise zu nennen wären.

Gegenüber anderen historischen Untersuchungsfeldern steht die Geheimdienstforschung vor besonderen Herausforderungen des Quellenzugangs. Das erste Panel beschäftigte sich daher mit den Geheimdienstüberlieferungen im Bundesarchiv. STEPHAN WOLF (Berlin) berichtete von der Überlieferung der vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) für die Partei- und Staatsführung erstellten Informationsberichte im Stasi-Unterlagen-Archiv. Schon zu DDR-Zeiten habe es in der Bevölkerung die Vorstellung von Stasi-Berichten gegeben, die, im Gegensatz zur öffentlichen Kommunikation, die Missstände wahrheitsgemäß an die Obrigkeit gemeldet hätten. Diese Parteiinformationen werden durch die systematische Erschießung seit 1990 sowie die anhaltende Veröffentlichung im Rahmen der Edition „Die DDR im Blick der Stasi“1 für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Da die für die Auslandsaufklärung zuständige Hauptverwaltung A ihre Akten 1989/90 selbst vernichten konnte, sind die entsprechenden Berichte zu außenpolitischen Themen jedoch zu großen Teilen nicht erhalten.

Das MfS hatte die Berichte allerdings teilweise auch an die befreundeten Geheimdienste des Ostblocks gesandt. Daher konnte SEBASTIAN NAGEL (Berlin) berichten, wie er in seinem laufenden Projekt in den Archiven der heutigen osteuropäischen Partnerbehörden des Stasi-Unterlagen-Archivs nach diesen Berichten fahndet und damit der Forschung unrettbar geglaubte Dokumente wieder zur Verfügung gestellt werden können.

Der Zugang zu Quellen der westlichen Geheimdienste steht demgegenüber vor anderen Problemen. So sprach MICHEAL WEINS (Koblenz) zur Überlieferungsbildung der Akten von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz sowie der teilweisen Übergabe der Bestände an das Bundesarchiv. Dabei bestehe ein nicht restlos zu lösender Wiederspruch zwischen dem demokratischen Anspruch auf Transparenz und mindestens in Teilen berechtigten Sicherheitsbedürfnissen der Dienste, so dass die Übergabe nur teilweise und langsam voranschreite.

Die anschließende Diskussion offenbarte die weitgehende Enttäuschung innerhalb des Tagungskreises darüber, dass die mit der Arbeit der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung des BND2 verbundenen Ankündigungen einer verstärkten Öffnung von Akten und ihrer Übergabe an das Bundesarchiv sich bislang nicht im erhofften Maße erfüllt haben.

Nach den Fragen der Überlieferung befasste sich das zweite Panel mit den Praktiken der Wissensproduktion in den Geheimdiensten. Mit der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) nahm MARTIN STIEF (Berlin) die Nachrichtenzentrale des MfS in den Blick. Bei der Gründung der Stasi 1950 war eine solche Aufgabe überhaupt nicht vorgesehen gewesen. Doch gab die am 17. Juni 1953 einsetzende Krisenkommunikation des MfS mit der Partei- und Staatsführung den Anstoß für eine über die unmittelbaren Geschehnisse hinausgehende Fortführung des Informationswesens. In der Folgezeit kam es durch zunehmende Professionalisierung und massiven personellen Aufwuchs zu einer institutionalisierten Form der Erstellung der geheimen Parteiinformationen.

ANDREAS HILGER (Moskau) nahm demgegenüber Beschaffung und Auswertung des Berichtswesens bei der Organisation Gehlen sowie dem späteren BND in den 1950er-Jahren in den Blick. Dabei kam er zu dem Schluss, dass dem seinerzeit vorherrschenden Selbstbild, beziehungsweise dem gegenüber der Politik vermittelten Bild, eines professionellen und erfolgreichen Auslandsgeheimdienstes aufgrund mangelnder Qualifikation nur eine eingeschränkte Informationsgewinnung in den Ländern des Ostblocks gelang. Nicht zuletzt von Reinhard Gehlen persönlich geprägt, entwickelte sich zudem die Praxis einer stark subjektiven und „kreativen“ Ergänzung von Unsicherheiten und Leerstellen, die im krassen Gegensatz zu den Leitlinien der ZAIG zur Wiedergabe weitgehend gesicherter Fakten stand.

Im dritten Panel stand die Politikberatung der Geheimdienste im Vordergrund. RONNY HEIDENREICH (Berlin) griff erneut die Arbeit der ZAIG auf und wies unter anderem auf die Rolle der Berichte als aktives Macht- und Beeinflussungsinstrument des MfS hin. So wurde die Politik sowohl durch die enthaltenen Inhalte und Handlungsempfehlungen geprägt als auch durch den von Erich Mielke bestimmten oder entzogenen selektiven Zugang einzelner Politiker zu den Informationen, etwa beim Sturz Walter Ulbrichts.

Daran anknüpfend betonte JOST DÜLFFER (Köln) auch für die Frühzeit der Organisation Gehlen beziehungsweise des BND einen starken Anspruch auf innenpolitische Einflussnahme, insbesondere in der aktiven propagandistischen Bekämpfung des Kommunismus. Zudem hätten zunächst enge informelle und persönliche Kontakte zur Politik bestanden, die erst nach dem Ende der Kanzlerschaft Konrad Adenauers in ein stärker von Distanz und formeller Kontrolle geprägtes Verhältnis übergingen.

Mit den Formen und Auswirkungen der nachrichtendienstlichen Politikinformation bei konkreten Krisenereignissen des Kalten Krieges beschäftigte sich das vierte Panel. ANDREAS ETGES (München) blickte auf die Arbeit der CIA während der Ersten Berlin-Krise. Demnach sei die Bereitschaft des Westens zur Einrichtung und Aufrechterhaltung der Luftbrücke wesentlich auf Berichte der CIA über die wirtschaftliche Schwäche und mangelnde Kriegsbereitschaft der Sowjetunion zurückzuführen.

Wie MATTHIAS UHL (Moskau) beschrieb, war auch die sowjetische Politik beim Mauerbau und bei der Kubakrise stark von den Berichten des Militärgeheimdienstes GRU geprägt. So hätten die Informationen über die militärische Überlegenheit von USA und NATO sowie ihrer konkreten Fähigkeiten und Pläne zu militärischen Vergeltungsschlägen wesentlich zu Chruschtschows Entscheidung beigetragen, eine militärische Eskalation zu vermeiden.

JENS SCHÖNE (Berlin) nahm den 17. Juni 1953 unter einer ungewöhnlichen Perspektive in den Blick. So sprach er über die Arbeit des MfS im ländlichen Raum der DDR vor, während und nach dem Volksaufstand. Wenngleich der Stasi die demographische und ökonomische Bedeutung der ländlichen Bevölkerung durchaus bewusst gewesen sei, hätten Maßnahmen zu einer stärkeren Überwachung und Beeinflussung nicht den erhofften Erfolg gehabt. Zwar habe sich an diesem Befund bis zum Ende der DDR nichts Wesentliches geändert, doch sei der ländliche Raum durch die Machtstellung lokaler SED-Funktionäre ausdrücklich auch nicht herrschaftsfrei gewesen.

Beendet wurde die Konferenz mit einer öffentlichen Podiumsdiskussion, bei der eine Brücke zwischen den historischen Fragen der Tagung und der Gegenwart geschlagen wurde. Die Größe des anwesenden Publikums zeugte von dem anhaltenden Interesse der Öffentlichkeit an Einblicken in die Geheimdienste. Moderiert vom Welt-Journalisten Sven Felix Kellerhoff diskutierten Daniela Münkel und Jost Dülffer mit dem ehemaligen BND-Präsidenten Gerhard Schindler. Bei dem Gespräch wurden durchaus zeitraumübergreifende Parallelen deutlich, etwa im Widerspruch zwischen dem professionellen Selbstbild der Geheimdienste und den gegensätzlichen Außenprojektionen als unfähige „Trottel“ oder sich der Überwachung entziehende „Verschwörer“. Aus historischer Perspektive wurde nochmals die weitgehende Kontrolllosigkeit der Dienste in der Vergangenheit und deren Streben nach Einfluss auf die eigenen Regierungen betont. Demgegenüber plädierte Schindler einerseits für ein hohes Maß an innenpolitischer Kontrolle der Dienste, forderte andererseits aber auch ein größeres Verständnis in Politik und Gesellschaft dafür, dass die Nachrichtendienste für ihre Arbeit im Geheimen agieren müssen. Zugleich erklärte er, dass beim BND inzwischen keinerlei Ambitionen mehr zu einer aktiven innenpolitischen Einflussnahme bestünden.

Es bestehen kaum Zweifel, dass sich die bundesdeutschen Nachrichtendienste in den letzten Jahrzehnten weit von ihren Ursprüngen entfernt haben. Dennoch zeigte sich in der Diskussion erneut das schon während der Konferenz immer wieder zu Tage getretene Dilemma, dass sich die Arbeit der Dienste sowie ihre Selbst- und Außendarstellungen zeitgenössisch jeweils kaum überprüfen lassen. Von umso größerer Bedeutung ist es daher, weiter daran zu arbeiten, aus einer historischen Perspektive und mit dem entsprechenden Quellenzugang rückblickend das geheimdienstliche Handeln offenzulegen.

Konferenzübersicht:

Begrüßung

Michael Hollmann (Bundesarchiv Koblenz)

Alexandra Titze (Stasi-Unterlagen-Archivs, Bundesarchiv Berlin)

Eröffnungsvortrag

Daniela Münkel (Stasi-Unterlagen-Archiv, Bundesarchiv, Berlin)

Panel I: Geheimdienstüberlieferungen im Bundesarchiv

Moderation: Martin Stief

Stephan Wolf (Stasi-Unterlagen-Archiv, Bundesarchiv, Berlin): „aktuell, weitgehend vollständig, objektiv und überprüft“ – Überlieferung und Erschließung der geheimen Berichte des Staatssicherheitsdienstes

Sebastian Nagel (Stasi-Unterlagen-Archiv, Bundesarchiv, Berlin): Akten auf Umwegen: Die HV-A-Überlieferungen in deutschen und ausländischen Archiven

Michael Weins (Bundesarchiv, Koblenz): Die Überlieferungsbildung der zivilen Geheimdienste im Bundesarchiv (BND und BfV)

Panel II: Wissensproduktion in Geheimdiensten

Moderation: Mark Laux

Martin Stief (Stasi-Unterlagen-Archiv, Bundesarchiv, Berlin): Die Nachrichtenzentrale der Stasi – die ZAIG

Andreas Hilger (Deutsches Historisches Institut Moskau): „Feindbild oder Feindlage“ – Beschaffung, Auswertung und Berichtswesen in Org und BND der 1950er Jahre

Panel III: Politikberatung und Geheimdienste

Moderation: Daniela Münkel

Ronny Heidenreich (Stasi-Unterlagen-Archiv, Bundesarchiv, Berlin): Das MfS als Nachrichtengeber der SED-Führung

Jost Dülffer (Universität Köln): Der Bundesnachrichtendienst in der Regierungsberatung bis 1978

Panel IV: Geheimdienste im Krisenmodus

Moderation: Ronny Heidenreich

Andreas Etges (Universität München): Deaf, Dumb, and Blind? Die CIA und die Erste Berlin-Krise

Matthias Uhl (Deutsches Historisches Institut Moskau): Zauderer oder Kriegstreiber? Der militärische Nachrichtendienst der Sowjetunion zwischen Mauerbau und Kuba-Krise

Jens Schöne (stellv. Berliner Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur): 1953: Staatssicherheit, SED und der Volksaufstand

Podiumsdiskussion

Moderation: Sven Felix Kellerhoff (Die Welt)

Daniela Münkel (Stasi-Unterlagen-Archiv, Bundesarchiv, Berlin), Jost Dülffer (Universität Köln), Gerhard Schindler (ehem. BND-Präsident)

Anmerkungen:
1 Das Bundesarchiv, Stasi-Unterlagen-Archiv: Die DDR im Blick der Stasi. https://www.ddr-im-blick.de/ (22.6.2023).
2 Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968. http://www.uhk-bnd.de/ (22.6.2023).

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Deutsch
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